Ohrwurmologie

Biotop Adventkalender Tag 2

Alle Jahre wieder um die Weihnachtszeit bohrt sich der Song “Last Christmas” der Band Wham! zuverlässig in unser aller Köpfe - es scheint kein Entkommen zu geben. Ohrwürmer oder “Involuntary musical imagery (INMI)”, wie die Forschung sie nennt, sind jedem vertraut. In seinem Buch “Musicophilia”, beschreibt Oliver Sacks Ohrwürmer eher als “Hirnwürmer”, die sich “kognitiv infektiös” verhalten [1]. Ohrwürmer bestehen normalerweise aus 3-4 Takten, also 15-20 Sekunden langen Bruchstücken, die sich immer und immer wieder wiederholen. Sie sind sozusagen Musikfragmente in Endlosschleife.

Die meisten Studien zu diesem Thema haben sich der Frage gewidmet, wer überhaupt Ohrwürmer bekommt und welche Strukturen innerhalb eines Liedes Musik zum Ohrwurm werden lässt. Es scheint, dass so gut wie jeder von uns von Zeit zu Zeit Ohrwürmer bekommt [2]. Manchmal werden sie von Erinnerungen heraufbeschworen, oft entstehen sie aber scheinbar aus dem Nichts und treten spontan auf. Lieder, deren Melodie einfach gestrickt ist, die aber Besonderheiten wie unerwartete Sprünge aufweisen, werden eher zum Ohrwurm. Auch wenn ein Lied oft gehört wird oder viele Wiederholungen beinhaltet tritt das Phänomen häufiger auf. Viel davon scheint offensichtlich. Eine Studie mit 3,000 Teilnehmern konnte einige dieser Thesen bestätigen. Darin wurde die Struktur von 200 Liedern mit Ohrwurmfaktor mit Liedern aus der Kontrollgruppe, die laut den Teilnehmern nie zu Ohrwürmern werden, verglichen [3]. Auch kleine Notenschritte, lange Töne, und ein eher beschwingtes Tempo erhöhen die Chance, dass eine Melodie zum Ohrwurm wird.

Strategien um Ohrwürmern entgegenzuwirken, beinhalten das bewusste Zu-Ende-Hören oder -Singen des gesamten Ohrwurmliedes, den Versuch den Ohrwurm durch eine andere Melodie zu verdrängen, sowie Ablenkung durch eine Tätigkeit, die Konzentration verlangt, z.B. Lesen [4]. Die Wirksamkeit dieser Methoden können wir allerdings nicht garantieren, also probieren Sie sie nach eigenem Ermessen aus.

Bis jetzt ist immer noch sehr wenig zur neuronalen Grundlage von Ohrwürmern bekannt. Sie werden auch recht wenig erforscht, wohl weil sie nicht als Erkrankung eingestuft werden. Wir haben ein Experiment in der Literatur gefunden, das wir hier genauer vorstellen möchten. Es geht der Frage nach, wo im Gehirn Ohrwürmer überhaupt entstehen. Die Forscher baten hierzu mehrere professionelle Musiker, ein Stück entweder (a) anzuhören oder sich (b) vorzustellen und identifizierten dann die Hirnregionen, die in beiden Fällen aktiv sind. Das ist natürlich ein wichtiger erster Schritt. Offen bleibt allerdings, ob es Regionen gibt, die nur für das Vorstellen, nicht aber für das Hören von Musik zuständig sind. Und ist das bewusste Vorstellen (“voluntary musical imagery”) von Musik überhaupt mit dem Ohrwurm (“involuntary musical imagery”) vergleichbar? In welchen Zellen entstehen Ohrwürmer und handelt es sich dabei um spontane Aktivität oder gibt es Signale, die aus anderen Hirnregionen kommen? Wie immer in der wissenschaftlichen Forschung folgen auf eine simple Frage (“Wo im Gehirn entstehen Ohrwümer?”) tausend weitere…

[1] Olivers Sacks “Musicophilia”, 2008, Picador

[2] Liikkanen, L. A. (2012). Musical activities predispose to involuntary musical imagery. Psychology of Music, 40(2), 236–256

[3] Jakubowski, K., Finkel, S., Stewart, L., & Müllensiefen, D. (2017). Dissecting an earworm: Melodic features and song popularity predict involuntary musical imagery. Psychology of Aesthetics, Creativity, and the Arts, 11(2), 122–135. http://doi.org/10.1037/aca0000090

[4] Williamson VJ, Liikkanen LA, Jakubowski K, Stewart L (2014) Sticky Tunes: How Do People React to Involuntary Musical Imagery?. PLOS ONE 9(1): e86170. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0086170

[5] Zhang, Y., Chen, G., Wen, H., Lu, K.-H., & Liu, Z. (2017). Musical Imagery Involves Wernicke’s Area in Bilateral and Anti-Correlated Network Interactions in Musicians. Scientific Reports, 1–13. http://doi.org/10.1038/s41598-017-17178-4

Über die Autorin

**Anna Köferle** studierte Biochemie in Oxford und machte danach ihr Doktorat am University College London. Sie interessiert sich ganz besonders für Genregulierung, Epigenetik, und alles was mit der Genschere “CRISPR” zu tun hat. Seit sie vor zwei Jahren eine PostDoc-Stelle an der Ludwig-Maximilians-Universität München angetreten hat, kommt sie auch öfters mit Themen aus der Neurobiologie in Kontakt.


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